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Lieder ins 2. Millennium
Oscar Wilde

„Ich liebe dich so sehr“ und „In meinem Traum“ schrieb ich 1999 für einen Sketche-Abend des „Theaters aus der Reisetasche“. „Den „Bücherei-Tango“ schrieb ich 2004 für ein Benefizkonzert in der Stadtbücherei Ebersberg bei München; „Ich habe keinen Schimmer“ entstand im Jahr, als ich in Rente ging und mich fragte, ob ich jetzt anfangen sollte, mich mit Jenseitigem zu beschäftigen; das „Kommodenlied“ war, etwa zur gleichen Zeit, die natürliche Folge eines kurzen Blicks in den neuen IKEA-Katalog.


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Kleine Auswahl:

In meinem Traum

Ich liebe dich so sehr

Bücherei-Tango

Ich habe keinen Schimmer

       Strophen 4 bis 6 hören)

Kommodenlied

       Lied hören

Rezensionen



In meinem Traum
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¿Qué es la vida? Un frenesí.
¿Qué es la vida? Una ilusión,
una sombra, una ficción,
y el mayor bien es pequeño;
que toda la vida es sueño,
y los sueños, sueños son.
Pedro Calderón de la Barca


In meinem Traum klingelt der Wecker.
In meinem Traum zieh' ich mich an.
in meinem Traum geh' ich zum Bäcker
und komme erst als fünfter dran.
In meinem Traum trink' ich Kaffee,
verbrenn' mir die Zunge, die Zunge tut weh,
zieh mir die Jacke an und geh',
fahr' ins Büro und bin dabei froh,
dass alles ein Traum ist.

In meinem Traum muss ich telefonieren,
unwichtige Briefe adressieren.
In meinem Traum macht mein Chef mich zur Schnecke,
weil ich die Briefmarken falsch rum ablecke.
In meinem Traum hat der Tag mich erschlagen,
sitz' ich im Heimwegstau in meinem Wagen,
komm' endlich nach Hause, küss' meine Frau,
begrüße die Kinder und weiß ganz genau,
dass alles ein Traum ist.

Zieh' meine Jacke aus und meine Schuhe,
möchte nur Abendessen und Ruhe,
küss' meine Kinder um neun Uhr Gutnacht –
alles im Traum, wie man's im Traum eben macht …


Aber jetzt hab' ich Zeit, jetzt kommt meine Stunde.
Jetzt verlier' ich keine weitere Sekunde.
Ich lass' meine Frau vor dem Fernseher dösen
und such' mir ein Buch raus und fang' an zu lesen.
Jetzt kommt der bedeutende Augenblick:
Jetzt komm' ich ins wirkliche Leben zurück …


Im wirklichen Leben bin ich der Held,
der strahlende Sieger, der Mann von Welt.
Im wirklichen Leben ist alles möglich.
Im wirklichen Leben ist gar nichts alltäglich.

Im wirklichen Leben bin ich ein Spion,
bin Alexander in Babylon,
bin Raskolnikov mit der Axt in der Hand
oder Damon mit dem Dolch im Gewand.

Im wirklichen Leben bau' ich eine Rakete,
spiel' ein Menuett auf der Zauberflöte.
Im wirklichen Leben bin ich ein Genie …
In meinem Traum: nie.


Das dauert so zirka ein bis zwei Stunden.
Dann hat mein Traum mich schon wieder gefunden,
zeigt mir die Traumuhr, scheucht mich empor:
Der Wecker wird klingeln! um Viertel vor!
Da ist mein Traum einfach ganz unnachsichtig,
schickt mich ins Bett, als wär das so wichtig,
Löscht mir das Licht, verdunkelt den Raum …
doch tief in mir drin berührt mich das kaum,
denn es ist nur ein Traum!

© 1999 Werner Bönzli, Reichertshausen







Ich liebe dich so sehr
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Mein Leben lief nach einem Plan.
Alles hat wunderbar gepasst:
Freunde, Job, Geld, Gesundheit –
Bis du mich getroffen hast.
Das Funkenbündel deiner Augen
hat mein Gehirn paralysiert.
Du hast mit deinem bloßen Dasein
mein stilles Leben durchgerührt.

   Jetzt liebe ich dich so sehr,
   ich kann es nicht ertragen.
   Die Liebe sitzt in meinem Herzen,
   in meinem Kopf, im Bauch, im Magen.
   Die Liebe nimmt mir den Atem,
   sie lähmt meinen Verstand
   und betäubt meine Sinne,
   sie fährt mein Leben an die Wand.
   Diese übergroße Liebe,
   ich kann sie überhaupt nicht brauchen.
   Sie soll sofort verschwinden,
   mich verlassen, untertauchen!


Jeder Blick, den du verschenkst,
jedes Wort, das du sprichst,
jeder Gedanke, den du denkst,
jedes Schweigen, das du brichst,
nimmt meine Seele in Beschlag,
verschiebt mein inneres Gleichgewicht,
bedeutet meinen jüngsten Tag,
stürzt mich in Schatten oder Licht.

   Denn ich liebe dich so sehr,
   ich kann es nicht ertragen.
   Die Liebe sitzt in meinem Herzen,
   in meinem Kopf, im Bauch, im Magen.
   Die Liebe ist eine Wüste,
   ein versteinerter Moment,
   eine böse rote Sonne,
   die mich fixiert und mich verbrennt.
   Diese übergroße Liebe,
   ich kann sie überhaupt nicht brauchen.
   Sie soll sofort verschwinden,
   mich verlassen, untertauchen!


Seit dem Tag, da ich dich sah,
seit diesem einen Augenblick,
diesem verhängnisvollen Zufall,
kann ich nicht vor und nicht zurück.
Seit dieser winzigen Sekunde
bin ich um meinen Schlaf gebracht,
bin ich im Brennpunkt meiner Liebe
die Marionette ihrer Macht.

   Ich liebe dich so sehr,
   ich kann es nicht ertragen.
   Die Liebe sitzt in meinem Herzen,
   in meinem Kopf, im Bauch, im Magen.
   Die Liebe ist ein Gefängnis,
   ein verwunsch’nes Labyrinth,
   eine Straße ohne Ende,
   auf der mein Leben zerrinnt.
   Diese übergroße Liebe,
   ich kann sie überhaupt nicht brauchen.
   Sie soll sofort verschwinden,
   mich verlassen, untertauchen!

© 1999 Werner Bönzli, Reichertshausen






Bücherei-Tango
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In der Bücherei
nachts um halb zwei
ist es nicht geheuer.
Durch die Scheiben bricht
ein fahles Licht.
Es rieselt im Gemäuer.
An jeder Wand
steht Band an Band
gedrängt in Holzregalen.
Niemals ausgeliehn;
ohne Zweck und Sinn
leiden Bücher Qualen.

Edle Klassikbände
klagen ohne Ende
und flüstern von den alten Zeiten,
als man sie noch schätzte,
als man sich ergötzte
an ihren eng bedruckten Seiten.
In eleganten
schwarzen Folianten
zerfällt die Wissenschaft von gestern,
ohne Ergebnis,
ohne Begräbnis,
nur beweint von älteren Semestern.

Ein paar Philosophen
fangen an zu schwofen.
Es sind Adorno, Bloch und Hegel.
Mitten im Gewimmel
spricht Konsalik mit Simmel
über eine neue Rechtschreibregel.
Die Brontë-Sisters führen
mit den Musketieren
eine Polonaise durch alle Gänge.
Frisch und Fromm und Keller
dreh’n sich immer schneller.
Immer fröhlicher wird das Gedränge.

Clemens von Brentano
ist mit Ralph Giordano
überhaupt nicht einverstanden.
Überhaupt nicht mystisch,
nur antifaschistisch –
so wird die Literatur zuschanden.
Egmont liest für Klärchen
aus Heines Wintermärchen.
Sie sagt: „So kann man doch nicht schreiben!“
Brecht und Kafka schwätzen,
George feilt an Sätzen,
Tucholsky sagt: „Mensch, lass es bleiben!"


(Alternative Strophe, für ein Buchhersteller-Publikum:)

Alte Schusterjungen
tanzen eng umschlungen
mit unvermählten Hurenkindern.
Vergessene Blockaden
stiften späten Schaden,
da sie den Lesefluss behindern.
Falsche Ligaturen,
die beredten Spuren
flüchtig angelernter Typographen,
ewig falsch verbunden,
lecken ihre Wunden,
seufzen wie geschund’ne Kettensklaven.

Druckerschwarze Zeichen
zittern und erbleichen,
wenn der Golem übern Bundsteg schreitet.
Grauen weckt die Szene,
wie Faust die fromme Lene
nächtens auf den Zauberberg geleitet.
In der Giftschublade
quält Marquis de Sade
sich mit seinen libidinösen Zwängen.
Zwei Regale weiter
stimmt François sich heiter
mit testamentarischen Gesängen.

Eine Rättin wispert.
Ein Computer knistert.
Ein Messingschild sagt „Bitte leise!".
Desdemona schaudert,
wenn Herr von Goethe plaudert
über die Marienbader Reise.
Unterhalb des Daches
unterhält Klein-Zaches
sich mit Ernst Theodor Amadeus,
und hinterm Schild aus Messing
parliert der alte Lessing
mit einem schwarzen Skarabäus.

In der Bücherei
nachts um halb drei
wird es langsam stiller.
Nur der Wilhelm Tell
streitet sich noch schnell
auf Schweizerdeutsch mit Friedrich Schiller.
Deckel klappen zu.
Alles geht zur Ruh.
Alles Leben stirbt im Saal.
Und wenn das Licht
des Tages anbricht,
ist alles wieder ganz normal.

© 2004 Werner Bönzli, Reichertshausen







Ich habe keinen Schimmer
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Ich habe keinen Schimmer
was der Kerl von mir will.
Er sitzt bei mir im Zimmer
und ist verdächtig still.
Er sitzt bei mir im Wagen
und flüstert: „Gib Gas!“ – Ich glaub’,
er will was anderes sagen,
doch ich weiß nicht, was.

Ich komme nicht dahinter,
was der Kerl bei mir sucht.
Ich hab’ ihn nicht gebeten,
ich hab’ ihn nicht gebucht.
Er gibt keine Erklärung,
sein Gewand ist sonderbar.
Warum er immer an mir klebt,
ist mir überhaupt nicht klar.

Er geht mit mir auf Reisen,
er kommt mit mir nach Haus.
Er begleitet mich auf leisen Sohlen,
tagein, tagaus.
Er verwischt seine Konturen,
er verschwimmt vor meinem Blick.
Er hinterlässt kaum Spuren,
doch er sitzt mir im Genick.

Immer, wenn ich mich bewege,
macht er einen kleinen Schritt,
fast, als würd’ er linkisch tanzen.
Wenn ich singe, spielt er mit,
nur ganz leise, doch ich hör’ es,
seine Geige klingt wie Glas.
Dieser Klang will mir was sagen,
doch ich weiß nicht, was.

Ich kann mich nicht erinnern,
seit wann der Kerl mich stört.
Irgendwie hat er wohl immer schon
dazu gehört.
Doch seit ein paar Jahren geht er mir
so richtig auf den Geist,
wie er immer bei mir steht,
wie er ewig um mich kreist.

Ich geb’ ihm keinen Namen.
Ich schau’ an ihm vorbei.
Ich straf’ ihn mit Missachtung,
doch mir ist nicht wohl dabei.
Ich habe das Gefühl,
dass er was im Schilde führt.
Irgendwann werd’ ich’s erfahren,
wenn’s mich nicht mehr interessiert.

© 2007 Werner Bönzli, Reichertshausen







Kommodenlied
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Ich wünsche mir eine Kommode,
ganz schlicht, unauffällig, modern,
mit zwei drei vier fünf sechs Schubladen,
die leicht gehen und sich nicht versperr’n.
Ich wünsche sie mir sehr geräumig
und trotzdem von außen kompakt.
Im Aussehen bieder und einfach,
doch im Inneren schlau und vertrackt.

    Sie wär’ die Lösung aller Probleme,
    sie wär’ das Ende jeglicher Qual.
    Sie wär’ der Mittelpunkt meines Lebens,
    sie wär’ ideal.

Sie böte mir Raum für die vielen
Kartons voller Fotografien,
die unsortiert, fast schon vergessen,
sich durch meinen Lebenslauf zieh’n.
Sie würde die Bilder erfassen
nach Datum, Motiv und Format
und nach Fotoästhetikkriterien –
sie wär’ mein Bildsortierautomat.

    Sie wär’ die Lösung aller Probleme,
    sie wär’ das Ende jeglicher Qual.
    Sie wär’ die Kunstgalerie meines Lebens,
    sie wär’ genial.

In einer der vielen Schubladen
hätten all’ meine Lieder gut Platz,
die fertigen und die missglückten,
mein gesammelter Liederschatz.
Sie würde die Lieder vollenden,
die ich niemals zu Ende gebracht.
Mein Repertoire würde verdoppelt,
ganz von selbst, mühelos, über Nacht.

    Sie wär’ die Lösung aller Probleme,
    sie wär’ das Ende jeglicher Qual.
    Sie wär’ das Liederbuch meines Lebens,
    sie wär’ tonal.

In der untersten, größten Schublade
wär’n Farben, Tapeten, Zement,
wär’n Pinsel und Zwingen und Spachtel,
halt das Chaos, das jeder Mann kennt.
Und nachts würde meine Kommode
in Dosen und Farbtöpfen rühr’n
und würde mein Baumarkt-Gestümper
still verbessern und zu Ende führ’n.

    Sie wär’ die Lösung aller Probleme,
    sie wär’ das Ende jeglicher Qual.
    Sie wär’ der Heinzelmann meines Lebens,
    sie wär’ phänomenal.

Ein kleines, verborg’nes Schublädchen
wär’ ganz exklusiv reserviert
für Zettel, Notizen und Nummern,
die ich selber nie find’, wenn’s pressiert.
Es ordnete meine Adressen,
es riefe sogar selber an
und schriebe die Festtagsglückwünsche,
die ich schon mal vergess’, dann und wann.

    Es wär’ die Lösung aller Probleme,
    es wär’ das Ende jeglicher Qual.
    Es wär’ das Vorzimmer meines Lebens.
    Es wär’ sozial.

Dank meiner patenten Kommode
könnt’ ich endlich jederzeit ruh’n.
Ich müsst’ mich um gar nichts mehr kümmern,
sie würd’ alles sofort für mich tun.
Sie enthöbe mich all meiner Sorgen,
sie nähme mir Sämtliches ab.
Ich müsste dann gar nicht mehr leben –
und sie grübe mir auch noch mein Grab.

    Sie wär’ die Lösung aller Probleme,
    sie wär’ das Ende jeglicher Qual.
    Sie wär’ das non plus ultra meines Lebens,
    sie wär’ final.

© 2009 Werner Bönzli, Reichertshausen






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